Viele sehen das Franzosenviertel, Haidhausen, als Münchens liberalstes Viertel. Hier sind alteingesessene Salonlinke genauso zu Hause wie progressive Galerieprojekte. Man weiß Qualität zu schätzen, ohne groß damit angeben zu wollen – und bleibt immer wieder überraschend.
Kurz denkt man: Das könnte jetzt auch Paris sein. Bäume rahmen den Platz symmetrisch, der Rasen ist präzise geschnitten, vielfarbige Blumenbeete begrenzen die Wiese nach Osten und Westen, in der Mitte plätschert ein Brunnen und hinter alldem erheben sich Altbauten in Rosa, Gelb und Taubenblau. Ist das die Place des Vosges? Nein, der Bordeauxplatz in Haidhausen, nicht so glamourös wie Paris und auch nicht so geschniegelt wie Bordeaux selbst, sondern gemütlicher, ruhiger, nüchterner.
Der Platz gewährt zwar so viel Weitblick und Raum wie kaum ein anderer Ort in diesem Stadtteil im Osten Münchens, und doch ist er geradezu mickrig im Vergleich zu seinen Brüdern in französischen Metropolen. Und genau deswegen passt er sehr gut hierher. Denn Haidhausen ist kompakt, manche sagen ein Dorf in der Stadt, mit engen Straßen, dicht bebaut und besiedelt, unterbrochen immer wieder durch runde Plätze, in deren Zentren große Brunnen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Der Weißenburger Platz, der Pariser Platz, der Orleansplatz.
Ein Teil Haidhausens wird auch Franzosenviertel genannt, denn die Namen französischer Städte oder Regionen liest man immer wieder auf Straßenschildern. Sedan, Balan, Lothringen, Belfort. Sie wurden jedoch nicht aus tiefer Freundschaft zu unserem Nachbarland gewählt, sondern weil die deutsche Armee die französische etwa in Sedan während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 vernichtend schlug. Oder in Balan einen Gegenangriff des früheren Erzfeindes zurückschlug.
Haidhausen ist kompakt, manche sagen ein Dorf in der Stadt, mit engen Straßen, dicht bebaut und besiedelt, unterbrochen immer wieder durch runde Plätze, in deren Zentren große Brunnen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Als Haidhausen ab 1870 von einem Slum zu einem Arbeiterviertel umgebaut wurde, ehrte man mit den Straßennamen die siegreiche gesamtdeutsche Armee. Von Kanonen, Blut und nationalem Flirren spürt man heute natürlich nichts mehr, wenn man sich durch die Sedanstraße shoppt und schmaust.
Im 1260 Grad gibt es handgeprägtes Porzellan und wunderbar schlichtes Steinzeug, ein wenig weiter reicht der Blumenladen Rosenkavalier Verliebten und Blütenfreunden aufwendige Gestecke und Sträuße. Es sind Läden, wie sie über das ganze Viertel verstreut sind. Kleine Handwerksbetriebe, die sich mit Liebe zum Detail und viel Zeit ihrer Ware widmen. Diese hat dann auch ihren Preis, doch die Einheimischen können sich das leisten. Denn in Haidhausen, dem früheren Scherbenviertel, wohnen heute vor allem Menschen, die gut verdienen.
Das Verrückte ist nun aber, dass man nicht das Gefühl hat, durch ein Reichenviertel zu wandern. Nichts ist hier protzig, nichts überkandidelt, nichts wirkt überteuert. Eine Anmutung von Alternativkultur bestimmt das Flair des Stadtteils, aber ohne Partypunks und ausgelassene Kunst-Bohème. Hipness fehlt hier. Es geht eher um gutbürgerliche Nachhaltigkeit: fair gehandelte Produkte, kleine Läden, keine Ketten, ruhiger Lebensstil.
Haidhausen erscheint eben eher wie ein Dorf. Dort grüßt man sich auf der Straße, kauft in spezialisierten Läden ein, deren Inhaberinnen und Inhaber leidenschaftlich ihrer Arbeit nachgehen, trifft sich in Wirtshäusern, die Wert auf Qualität und heimelige Atmosphäre legen. Etwa im Café im Hinterhof, das sich ebenfalls in der Sedanstraße befindet und ein wenig an eine Pariser Expressionistenkneipe der 20er-Jahre erinnert. Die Gerichte dort sind einfach und unprätentiös, auf der Terrasse sitzt man im Grünen, die Gäste kleiden sich in Naturstoffe in gedeckten Farben. Modisch ausrasten möchte in Haidhausen niemand, was aber nicht heißt, dass man hier keinen Spaß haben kann.
Hipness fehlt hier. Es geht eher um gutbürgerliche Nachhaltigkeit: fair gehandelte Produkte, kleine Läden, keine Ketten, ruhiger Lebensstil.
Die Bardichte im Viertel ist hoch. Im Barroom in der Milchstraße, mit nur drei Tischen die kleinste Bar Münchens, erhält man eine sehr persönliche Beratung, welcher Drink denn gerade am besten zu Stimmung und Vorliebe passt. Rumcocktails sind eine Spezialität des Hauses. Ähnlich intim, aber ein bisschen geräumiger ist das Maria Passagne gleich um die Ecke. Eine in Rot gehaltene Höhle, in der zum Drink Sushivariationen gereicht werden, was in der Welt der Bars völlig ungewöhnlich, aber total einleuchtend ist. Fetter Fisch ermöglicht weitere hochprozentige Getränke. Im Maria Passagne kann man wunderbar versacken und ausgezeichnet zu Abend essen davor im Polka am Pariser Platz. Bayerische, Tiroler und Südtiroler Gerichte erhalten dort einen mediterranen Twist, der ihnen die in sie eingeschriebene Schwere nimmt. Das geschieht selbstverständlich ohne Chichi und Show. Wir sind ja in Haidhausen.
Wem der Weg in die umliegenden Bars danach zu weit ist, schreitet einfach hinab in den Keller des Polka. Dort warten DJs und Barkeeper, um die Nacht mit Bier, Longdrinks, Soul, Disco oder was anderem (je nach DJ) angenehm zu verlängern. Am nächsten Tag, wenn Rausch und Kater den Körper verlassen haben, kommt ein Besuch der Lothringer 13 gelegen. Zeitgenössische Kunst schauen. Abseits der großen Museen. Privater, stiller und auch oft experimenteller als auf dem wuseligen Kunstareal. Eine Perle, wie es so viele in Haidhausen gibt, verborgen, aber leicht zu finden. Und ein weiterer Grund, warum man dieses Dorf in der Stadt nie mehr verlassen möchte.